Künstleraustausch


Als die Jury Reinhard Wöllmer für das Stipendium auswählte, war ihr bewußt, daß er bereits durch seine Afrika-Reisen und im Thema der Masken, das er einige Jahre verfolgt hatte, dem Reiz ethnologischen Materials starke Impulse abgewann.

"Die Freuden, die Leiden des Menschen, der Völker stehen hinter den Inschriften, den Bildern, den Tempeln, den Domen und Masken, hinter den musikalischen
Werken, den Schaustücken und Tänzen. Wo sie nicht dahinter stehen, da ist auch nicht Kunst."
(August Macke, Die Masken. In: Kandinsky/Marc: Der Blaue Reiter, 1912)

Die kleine heimatkundliche Abteilung des Museums im alten Bahnhof Skopjes, der zur Erinnerung an das Erdbeben von 1963 in seinem damaligen äußeren Zustand konserviert ist, wurde die Keimzelle einer Beschäftigung Reinhard Wöllmers mit tradiertem Material, mit Stickereien und mazedonischen Trachten. Bereits die "Masken" lebten nicht von irgendeinem numinosen Schaudern über Fremdartiges, sondern von der Ornamentik als etwas Überpersönlichem. Gerade im türkisch-moslemischen Kulturkreis, der seine Spuren in Skopje hinterlassen hat, besitzt das Ornament die anregende Funktion, frei zu machen von Prägungen, den Geist schweben zu lassen (das byzantinische Bilderverbot als Anleitung zum Herausgehen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit?).

Kelims oder afrikanische Tücher waren früher Anreger gewesen, jetzt wurden es orthodoxe Kirchen (mit vielen kreisförmigen Motiven) oder Trachten und Bordüren. Reinhard Wöllmer arbeitete schon längere Zeit mit Materialien wie Sand, Erde und Asche. Seine Affinität zum Plastischen ließ es als kleinen Schritt erscheinen, den Mangel an Papier für seine Collagen zu beheben durch die Herstellung von Papier aus alten Zeitungen. Und wie in die "Masken" die Ornamentik etwas Objektivierbares einlagert, so tut es die Wirklichkeit in diesem Zeitungspapier. Die entstandenen 'Kreis-im-Kreis'-Formen existieren als Zwischenbereich. Sie tragen das jeweilige Ornament zwar als eine Ordnung, doch in der Ausschnitthaftigkeit und der inneren Verschiebung vorgeblich geometrischer Ordnung scheint Willkür, Zufälligkeit auf. Das "Ich finde" und das "Ich mache" gewinnt aleatorischen Charakter. Und so sind diese Farbkörper aus empfindlich dünnen Papiermaché-Häuten den früheren Collagen verbunden, bei denen oftmals die Rückseiten einzelner Partien gezeigt wird, man die Klebestellen ebenso sieht wie die Banalität, das Wertlose, die Verbrauchtheit, Häßlichkeit, aber auch Offenheit des Materials. Daß Kunst entsteht (und nicht schon ist), wird hier thematisiert. Andererseits sind die Scheiben, die ver-körperten Bilder ein Durchgangsstadium hin zu den jetzt entstehenden Pappmaché-Halbkugeln - unbestreitbar Körper -, die den Charakter von Eisengußabfällen mit der Grazie eines Scherenschnitts verbinden. In allen Gestalten, den Masken, den gestanzten, teiweise mit der Rückseite zur Schau gestellten Collagen, mit den ineinander verdrehten ornamentalen Ordnungen der farbigen Scheiben und den Doppelkreisen aus Zeitungspapierbrei, in den fragmentarischen, durchbrochenen Halbkugelformen als Wand- oder Bodenstücke, leuchtet eine besondere Beziehung Wöllmers zum So-Sein des Materials auf, dem er sich überläßt, dem er Spielraum und eigene Wahrheit beläßt, mit dem zusammen er unterwegs ist hin zu seiner Kunst, die einer strengen Wahrheitssuche verpflichtet ist.
Die schönen Dinge bestehen aus rohem Material, das im Urzustand häßlich, weil ungeformt erscheint. Doch ist es ein Ausweg aus der Gefährdung des Schönen durch seine Omnipräsenz, wenn man an das Schöne erinnert durch sein Gegenteil:
"Die Kunst muß seine (des Häßlichen, d. Verf.) Natur hervorblicken lassen und daran erinnern, daß es ursprünglich nicht durch sich selbst, daß es nur an und aus dem Schönen als dessen Negation existiert." (Karl Rosenkranz, Ästhetik des Häßlichen. 1853)

Hans-Peter Miksch
Nürnberg 1991


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